Sozialraumorientierung ist ein Thema, welches uns schon länger beschäftigt und das unsere Arbeit in Zukunft noch viel stärker prägen wird. Geht es doch bei diesem Konzept um Inklusion und das Gestalten von Lebenswelten, in denen ALLE Menschen den Platz finden können, der ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten entspricht.
Weil aber die Menschen genauso verschieden sind, wie die sie umgebenden Sozialräume, gibt es auch unterschiedliche Herangehensweisen, wie man diesem Ziel näher kommen kann.
In unserem ersten Beitrag zur Sozialraumorientierung berichten wir von den Möglichkeiten, die das Diakoniewerk in der Steiermark nutzt, um für die dort begleiteten Menschen mehr Inklusion und Vernetzung mit sozialräumlichen Gegebenheiten zu erreichen und nehmen den Sozialraum Graz genauer unter die Lupe.
Unterwegs im Sozialraum Graz
Die Orte, wo wir wohnen, arbeiten, andere treffen und Infrastruktur nutzen, prägen uns. Gleichzeitig gestalten wir diese Orte: Durch unser Handeln und dadurch, dass wir unsere Fähigkeiten und Ideen einbringen. Das ist der Sozialraum, mehr als nur ein Punkt auf der Landkarte. Er ist ein Raum für Begegnung, Austausch und Möglichkeiten.
Erster Schauplatz ist ein Café in Graz, im Stadtteil Jakomini, für ein Treffen mit den KundInnen der Tagesstätte Moserhofgasse. Sie fühlen sich im lebendigen Viertel mit vielen Geschäften, Schulen, Lokalen und Grün-Oasen wohl. „Wir erkunden täglich die Stadt mit ihren Möglichkeiten, gehen zum Innenstadtfriseur, mischen uns bei Straßenfesten ins Geschehen und kaufen am Kaiser-Josef-Platz ein“, sagt Leiterin Edith Hafner. Die meisten Kundinnen mit hohem Unterstützungsbedarf wohnen in einem großen Pflegezentrum außerhalb der Stadt. „Wir möchten auffächern, was das Leben bieten kann“, ergänzt Mitarbeiter Michael Taul.
Für die Orientierung in der näheren Umgebung sorgt ein großer Stadtplan in der Tagesstätte, der zeigt, welche Orte regelmäßig aufgesucht werden. Methoden der unterstützten Kommunikation leisten gute Dienste, um mit anderen ins Gespräch zu kommen. Pascal Schantl aus der Tagesstätte erzählt: „Mein Kollege Sebastian hat mit dem Talker in der Trafik einen Fahrschein gekauft. Der verblüffte Verkäufer fragte, ob dieses Gerät Sebastians Gedanken lesen kann!“
Sich in den Sozialraum einbringen
Der nächste Schritt: Sich in den Sozialraum einbringen, jeder nach seinen Fähigkeiten, so unterschiedlich diese auch sind. Hafner: „Wir werfen gerade Anker in verschiedene Felder aus, sind mit dem Bezirksrat im Gespräch, haben Kontakte zu Betrieben.“ Schantl erzählt: „Die Leute sind glücklich, wenn sie mit mir sprechen.“ Warum nicht jemanden regelmäßig besuchen, um zu plaudern? Ein anderes Beispiel: Ein Klient der Tagesstätte fährt gerne mit dem E-Bike einkaufen. Warum nicht auch für Menschen, die weniger mobil sind?
Noch ist offen, wie diese Services im Stadtteil aussehen werden, denn Entwicklungen benötigen Zeit, Kontakte müssen reifen.
Schauplatzwechsel in das ruhige Villenviertel am Grazer Ruckerlberg.
Im Grazer Sozialraum Ruckerlberg steht das Pflegeheim „Haus am Ruckerlberg“ und liegen die Tagesbetreuung für Menschen mit Demenz. Blickdichte grüne Zäune verdecken Blick auf die Villen, untertags sind nur vereinzelt Spaziergänger anzutreffen. Kaffeehäuser und Geschäfte in unmittelbarer Nähe gibt es nicht. Der Radius der 114 BewohnerInnen ist, mit Ausnahme weniger, auch aufgrund der hohen Pflegebedürftigkeit sehr eng geworden. Der Sozialraum wird daher in das Haus geholt:
Junge MusikerInnen der naheliegenden Kunst-Uni geben in gut besuchten Konzerten Einblicke in ihr hervorragendes Können.
Am Erzählcafé des evangelischen Bildungswerks nehmen auch BesucherInnen von außerhalb teil. Und besonders herzlich sind Schülerinnen im Haus willkommen, die hier Sozialtage oder Praktika verbringen und mit jugendlicher Fröhlichkeit alle anstecken.
Letzter Schauplatz ist die Schladminger Brauerei.
MitarbeiterInnen mit Behinderungen in Signaljacken sind konzentriert bei der Arbeit und sortieren Bierflaschen. Schladming mit seiner touristischen und betrieblichen Infrastruktur bietet hervorragende Möglichkeiten, sich beruflich einzubringen. Leitung Velimir Pantić und Mitarbeiterinnen mit und ohne Behinderung setzen bereits sozialraumorientierte Projekte um.
Die Arbeit in der Brauerei ist eines davon. „Wir wollen Kompetenzen öffentlich sichtbar machen und Teil der Stadt sein“, sagt Pantić. Die laufenden Projekte sind eine Win-Win-Situation für alle: Gemeindebedienstete und Schülerinnen der Neuen Mittelschule freuen sich regelmäßig über das Jausenservice des Diakoniewerks.
Eine andere Gruppe sorgt jeden Morgen für saubere Gehsteige in der Innenstadt, zudem arbeiten Mitarbeiter mit Behinderung stundenweise im Krankenhaus, im Bauhaus, im Kindergarten oder im Seniorenheim mit. Eines steht fest: Sozialraumorientierung ist ein lohnenswertes Abenteuer und ein Gewinn für alle Beteiligten!
(Autorin: Saskia Dyk)
Weiter zu Teil 2 der Serie "Sozialraumorientierung": Im Sozialraum wirksam sein